Kerne, Kästen, Kavitäten (29. 03. 2004)

Liebe Freunde und Verwandte,

drei Tage vor Beginn des Sommersemesters habe ich noch einmal Zeit für eine Rundmail gefunden. (Apropos: Interessanterweise ist auch bei Rundmails das Mailfenster rechteckig.) Im Semester selbst wird die Zeit leider zu knapp dafür sein. Mit 29 SWS (Semesterwochenstunden) wird es die größte Herausforderung meines bisherigen Studiums. Die meisten Studenten sind mit 17-19 SWS absolut glücklich. Aber der Fachbereich hat einfach zu viel interessantes zu bieten.

Zum einen ist da die Kern- und Neutrinophysik. Ursprünglich gab es eine Vorlesung über Kernphysik von Prof. Scobel, meinem Favoriten in Sachen Experimentalvorlesungen. (Er lässt regelmäßig aufwändige Meß- und Demostrationsversuche extra aus Bahrenfeld bringen, um sie in der Innenstadt den Studenten zeigen zu können. Seine Vorlesungen zählen zu den beliebtesten am Fachbereich.) Seit diesem Semester wurde die Vorlesung um einen Teil über Neutrinos ergänzt. Nachdem ich im letzten Semester die Elementarteilchenphysik gehört habe, ist das die zweite Vorlesung aus dem Gebiet "Struktur der Materie", wichtig für die kommenden Prüfungen.

Apropos Prüfungen: Dafür benötigt man auch "Anwendungen der Physik". In diesem Semester wird die Beschleunigerphysik I angeboten, natürlich ein zentrales Forschungsgebiet in Hamburg. Hier geht es darum, wie man Teilchen die nötige Energie (den nötigen "Wums", wie es einer unserer Physiker sagte) verpasst und sie für Experimente nutzt. Dafür werden geladene Teilchen in hochfrequenten elektromagnetischen Wechselfeldern (darüber habe ich mal eine Facharbeit geschrieben...) in sogenannten Hohlraumoszillatoren (Kavitäten) beschleunigt und durch Magnete in der Bahn gehalten. Alltag bei DESY.

Alles andere ist Theorie (und etwas Mathe). In erster Linie natürlich die Quantenmechanik II, als perfekte Fortsetzung der im letzten Semester recht anspruchsvollen Quantenmechanik I. Der Dozent ist so begeistert vom diesem Gebiet, dass er seinen Studenten in raschem Tempo alles zu zeigen versucht, das irgendwie in die Vorlesung passt. Dazu gibt er zwei Seiten Übungsblätter pro Woche aus, die zu 80% zu lösen sind, plus zwei Klausuren. Im letzten Semester haben es etwa die Hälfte der ursprünglichen Teilnehmer (es gab viel Schwund) geschafft, den Schein zu erhalten. Diesmal gibt es zur Vorlesung ein Proseminar und ein "theoretisches Praktikum", was immer das sein mag.

Die zweite wichtige Theorievorlesung ist die Thermodynamik und statistische Physik. Mache Studenten sagen, das sei die Physik der Teilchen in Kästen mit Trennwänden. Tatsächlich kann man damit vom Abkühlen einer Tasse Tee (Oh! Meiner ist inzwischen lauwarm...) über Verbrennungsvorgänge in Motoren bis zu schwarzen Löchern eine Menge anfangen. Außerdem ist sie für die Prüfung wichtig...

Schließlich steht noch Mathe auf dem Plan. Diesmal geht es um Von-Neumann-Algebra, schon fast Pflicht für Theoretiker. Ich brauche ohnehin noch einen Schein für mein Nebenfach (reine Mathematik) - dürfte interessant werden.

In der kommenden VfZ ist wieder Praktikum angesagt. Vier Wochen lang jeden Tag an Versuchen sitzen, messen, verändern, messen, auswerten. Experimentalphysiker...

Vorher ist Ostern. Zum "Physikertreffen" kommen 15 Schüler und Studenten nach Hamburg, um sich die Uni anzusehen und Klönschnack zu halten. (Anm. d. Üb.: Gemütliches Beisammensein und Unterhalten). Geplant sind Besichtigungen in der angewandten Physik (Molekularstrahlepitaxie, also das Aufdampfen dünner Schichten in einer speziellen Vakuumkammer), Experimentalphysik (HASYLAB und FEL bei DESY, also die Erzeugung intensiver Strahlung) und Laserphysik (Bose-Einstein-Kondensation (Erzeugung extrem tiefer Temperaturen mit Lasern) und Festkörperlaser). Natürlich kommt auch die Kultur nicht zu kurz: Hafenbesichtigung, Fischmarkt, Jungfernstieg, Michel, Speicherstadt, Planten un Blomen - Hamburg hat viel zu bieten.

"Auch ein Weg von 1000 Meilen beginnt mit einem ersten Schritt." (Laotse)