Brett vorm Kopf (15. 07. 2004)

Liebe Freunde und Verwandte!

Nachdem ich lange nicht von mir habe hören bzw. lesen lassen, melde ich mich nun pünktlich zu Beginn der VfZ. Das vergangene Semester war bisher das schwierigste, anstrengendste und zeitraubendste seit Beginn meines Studiums. Mit anderen Worten: Der interessante Teil des Studiums hat begonnen.

Zunächst die außergewöhnlichen Dinge: In der letzten Woche war Prof. John David Barrow aus Cambridge zu Gast an der Uni Hamburg und hat fünf Vorträge zum Thema "Our Universe and Others" gehalten. Es handelte sich dabei um teils physikalische, teils philosophische Ausflüge weit jenseits menschlicher Vorstellungskraft. Vom ewig inflationären Universum über die Rolle der Entropie bis zu den Gemeinsamkeiten zwischen einem Sandhaufen, einem Fluß und einem Hund - eine ebenso spannende wie humorvolle Vorlesungsreihe. Abschließend stellte er das untimative Modell des Universums vor - aus dem Film Matrix. "Stellen Sie sich eine fiktive Realität vor, in der zwei Menschen darüber diskutieren, dass ihr ganzes Universum nur eine Fiktion ist, nachdem ihnen jemand in einer Vorlesung davon erzählt hat." Für Fans von Douglas Adams: Ich frage mich inzwischen, wo das Restaurant am Ende des Universums ist.

Die meisten Vorlesungen waren dagegen fast schon "Business as usual". Kern- und Neutrinophysik, Beschleunigerphysik, Thermodynamik (aus der zweiten Klausur habe ich mich vorzeitig verdrückt, um "The Beginning of the Universe" mitzuerleben), Von-Neumann-Algebra und natürlich Quantenmechanik 2.

Zu letzterer gibt es aber noch ein paar Dinge zu sagen: Zum einen gab es ein Proseminar, in dem Matthias Schult und ich über "Solitonen in Polyazetylen" referierten. Das klingt schlimmer als es ist: Bei Polyazetylen handelt es sich um einen langkettigen Kunststoff, der unter bestimmten Bedingungen elektrisch leitfähig ist. Diese Bedingungen sorgen für die Existenz von geladenen, frei beweglichen Quasiteilchen (den Solitonen eben), die als freie Ladungsträger den Strom leiten - aber nur in Richtung der Ketten. Für diese Entdeckung gab es vor ein paar Jahren den Nobelpreis für Chemie.

Außerdem gab es das "Theoretische Praktikum". Hier waren Matthias und ich mit der Berechnung von einigen Eigenschaften des Wassermoleküls betraut. Zunächst sollte die Geometrie des Moleküls "ab initio", also nur aus quantenmechanischen Prinzipien und den elementaren Bausteinen berechnet werden. Daraus erhält man dann weitere Eigenschaften. Diese Berechnung ist recht kompliziert (es gibt eine Menge sechsdimensionaler Integrale zu lösen) und noch nicht abgeschlossen - eine nette Aufgabe für die VfZ.

Natürlich wäre die VfZ mit nur einer solchen Aufgabe langweilig - daher habe ich mir vier weitere Ziele gesetzt. Ich schreibe an Trion (dem C++-Betriebssystem) weiter, entwickle eine verbesserte Steuer- und Auswertesoftware für einen Germaniumdetektor (mit dem man die Energie von Gammastrahlen messen kann - ein netter Versuch aus der Vorlesungsvorbereitung), bereite mich auf ein vierwöchiges Praktikum bei DESY vor und arbeite weiter an meiner Schachtheorie.

Apropos Schach: Um die Kunst der Schachprogrammierung zu erlernen, habe ich das Buch "Schach am PC" ersteigert. Mit einen Zitat daraus möchte ich diese Mail abschließen: "Ein Brett vorm Kopf ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für ein Schachspiel."