Der Feuerteufel vom Eichholz

Es war im beschaulichen Jahr 1999, als ich die zehnte Klasse des Gymnasiums Vorsfelde besuchte und kurz davor stand, dies bald nicht mehr zu tun. Zwei Wochen später sollten die Sommerferien und danach die Oberstufe beginnen - an einer anderen Schule, da es so etwas in Vorsfelde nicht gibt. Es begab sich, dass ich zu dieser Zeit das Klassenbuch führte und einen Stellvertreter hatte, meinen Freund Matze. Er hatte eine Vision: "Das Klassenbuch wird in Gold gestrichen - diese Klasse ist etwas besonderes, und jeder soll das sehen." Ich hatte auch eine Vision: "Das Klassenbuch bleibt grün wie es ist - ganz dem einheitlichen Stil folgend." Zwei Visionen wie Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie - jede für sich hervorragend, aber beide unvereinbar.

Es stand damit fest, dass eine Entscheidung gefällt und auch umgesetzt werden musste. Als Klassenbuchführer entschied ich ebenso demokratisch wie salomonisch für die grüne Variante. Nun war es aber so, dass Matze direkt neben der Schule wohnte, ich aber 15km davon entfernt. Ich musste also irgendwie verhindern, dass Matze das Klassenbuch einfach mitnimmt und färbt. Nachts habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen, bin aber immer zu dem selben Schluss gekommen: So lange das Klassenbuch existiert, kann Matze es färben. Schließlich merkte ich, dass dieser Satz bereits eine entscheidende Einschränkung beinhaltet: So lange das Klassenbuch existiert - damit begann Phase 1...

Für meinen Plan benötigte ich im wesentlichen zwei Dinge: Eine alte Zeitung und die Kooperation meines Chemielehrers. Beides war leicht zu organisieren. Also transferierte ich die Zeitung unbemerkt in die Schule und wartete auf das Ende des Chemieunterrichts. Dann fuhr ich wie gewohnt nach vorn, um das Klassenbuch mitzunehmen - und fragte den Lehrer, ob ich mir ein paar verschiedene Gasbrenner ansehen könne, falls ich mir so etwas zulegen sollte. Während er ein paar Brenner holte (das Klassenbuch lag noch auf dem Tisch) verließen meine Mitschüler die Klasse - bis auf Matze. Er wollte unbedingt seine Klausur entgegennehmen, die er noch nicht erhalten hatte. Es gelang meinem Chemielehrer, ihn davon zu erzeugen, schon mal zum Rektor zu gehen - der müsse noch einen Blick darauf werfen. Als ich mit meinem Lehrer allein war, kramte ich die Zeitung hervor, und er verbrannte sie. Dann nahm er das Klassenbuch gut versteckt mit. Ich raste vor Verzweiflung schreiend in meine Klasse. Zeit für Phase 2.

Meine Mitschüler fragten natürlich sofort, was denn passiert sei. Also erzählte ich es ihnen: Ich habe versehentlich einen Gasbrenner umgekippt und das Klassenbuch verbrannt. Die Reaktionen reichten von "Das ist nicht dein Ernst!" bis "Geil - alle Fehlstunden sind weg!". Als Matze eintraf und sich über meinen Zustand wunderte, erfuhr er schnell die Neuigkeit. Er konnte sich nun erklären, warum mein Lehrer so stark nach Rauch gerochen hatte... Nachdem also die ganze Klasse von meinem Unheil wusste, musste ich es noch den Lehrern verkaufen. Die wunderten sich zwar zunächst ein wenig, kamen aber bald zu dem Schluss, bei mir müsse man sich über gar nichts wundern. Es fehlte also nur noch der Rektor - ihn habe ich eingeweiht, etwas offizielle Unterstützung konnte ja nicht schaden.

Die Neuigkeit sprach sich schnell herum. Das hatte ich vor allem meinem Kunstlehrer zu verdanken, der alle Klassen unterrichtete und sehr gesprächig war. Bald war ich überall als Feuerteufel bekannt und wurde dementsprechend skeptisch beäugt. Ich hatte ein Ersatz-Klassenbuch zusammengebastelt und grün gestrichen - es wurde prompt von jemandem mit ein paar Brandflecken versehen. Mein Klassenlehrer war übrigens absolut begeistert (er war nicht eingeweiht): "Endlich passiert mal etwas." Mein Politiklehrer trug es mit Fassung: "Zuerst zeigt diese Klasse ein Interesse an deutscher Politik und Geschichte wie keine zuvor - und dann vernichten sie alle Beweise." So errang ich in den letzten zwei Wochen eine unerwartete Popularität. Doch das Ende war nah: Phase 3.

Am vorletzten Tag brachte mein Chemielehrer das Klassenbuch und die Zeitungsasche mit, damit ich beides verwahren konnte. Mit dem Rektor sprach ich die letzten Schritte ab - alles sollte perfekt verlaufen. Am letzten Tag war es dann so weit: In der Aula hatten sich alle Schüler versammelt, um der Vergabe der Zeugnisse an die Zehntklässler beizuwohnen. Ich hatte das Klassenbuch und die Asche gut versteckt bei mir. Bevor es die Zeugnisse für meine Klasse gab, fuhr ich nach vorn und ergriff das Wort. Nach einer kurzen Einleitung bat ich meinen Klassenlehrer nach vorn, um ihm das Klassenbuch (ich zeigte allen die Asche) zu überreichen. Er reagierte etwas verdutzt. Als er einen Blick darauf warf, holte ich das echte Klassenbuch hervor und fragte ihn, ob er vielleicht lieber dieses hätte. Damit hatte ich ihn völlig entsetzt - und die halbe Schule ebenfalls. Vor allem Matze war absolut fassungslos. Zeit also, einen Abgang zu machen. Und wenn das Gymnasium Vorsfelde nicht abgebrannt ist, erzählt man sich die Geschichte vom Feuerteufel noch heute.