Die Flucht

Es war mal wieder ein langer Abend in meinem Büro. Die Berechnungen, an denen ich gerade saß, waren nicht besonders eilig - aber ich wollte damit fertig werden, bevor ich Feierabend machte. Plötzlich klingelte das Telefon. Ich sah auf die Uhr - 20:57. Wer könnte das um diese Zeit noch sein. Ich nahm ab. "Ja...?" - "Hier ist Admiral Petersen. Melden Sie sich umgehend im Arrestbereich." Bevor ich etwas sagen konnte, hatte er schon wieder aufgelegt. Wenn der Admiral persönlich anrief, musste es ernst sein - aber warum um alles in der Welt bestellt er mich, seinen leitenden Ingenieur in den Arrestbereich? Ich packte meine Unterlagen zur Seite, sicherte den Computer und begab mich auf den Weg in das Arrestgebäude.

Als ich den Gang zu den Sicherheitszellen entlangkam, wurde ich bereits vom Admiral erwartet. "Da sind Sie ja endlich. Wir haben hier eine Spionin, die behauptet, Sie zu kennen. Sie wurde heute früh von unseren Sicherheitsleuten auf dem Flughafen festgenommen, weil Sie ihnen gefolgt ist, als Sie auf dem Weg zum Flugzeug waren. Und nun sagt sie, dass sie nur mit Ihnen reden wird." Ich war mehr als überrascht. Sollte meine Tarnung etwa aufgeflogen sein? Sollte es jemanden geben, der weiß, dass meine "Geschäftsreisen" mich nicht zu irgendwelchen Konferenzen, sondern auf eine Militärbasis führten? Und warum sollte sie behaupten, mich zu kennen? "Natürlich Admiral, ich werde mich gleich darum kümmern.", sagte ich noch immer etwas verwirrt. Ein Sicherheitsoffizier stand neben der Tür und öffnete das elektronische Schloß mit seiner Zugangskarte. Dann betrat ich den Raum, gefolgt vom Admiral und dem Wachmann - und traute meinen Augen nicht.

"Manuela!", rief ich, "Was machst du denn hier?" - "Das gleiche könnte ich dich fragen!", engegnete sie genau so erstaunt wie ich. "Ich dachte, du wärst auf einer Physikertagung? Und auf einmal steigst du in ein Militärflugzeug und ich werde von einer Hand voll Gorillas verhaftet!" Etwas ratlos sah ich sie an. "Ich weiß, ich war nicht ehrlich zu dir... Aber was hätte ich dir denn sagen sollen? Dass ich für die Regierung arbeite, dir aber nichts sagen darf, weil alles streng geheim ist? Warum bist du mir denn überhaupt gefolgt?" Wir sahen einander einen Moment lang in die Augen. "Weil du doch morgen Geburtstag hast und ich dir das hier geben wollte..." Sie griff in ihre Tasche. Sofort richtete der Wachmann seine Waffe auf sie. "Keine Bewegung!" Ich stellte mich dazwischen. "Immer mit der Ruhe!" In ihrer Hand hielt Manuela eine kleine Schachtel mit Pralinen, mit einer Schleife darum und einer Glückwunschkarte. "Und nur weil ich dir das hier schenken wollte, sitze ich jetzt im Gefängnis..."

Ich wandte mich dem Admiral zu. "Was wird nun weiter geschehen? Diese Frau ist keine Spionin, sondern meine Freundin!" - "Dennoch hat sie sich strafbar gemacht. Unerlaubtes Betreten eines Sperrbereichs, Spionage und Landesverrat. Dazu kommt, dass sie nun im Besitz vertraulicher Informationen ist. Wir werden sie vorerst hier behalten, danach wird sie vermutlich Schutzhaft genommen werden, damit sie ihre Informationen nicht weitergeben kann." Ich war fassungslos. "Sie soll ins Gefängnis wegen einer Schachtel Pralinen?" - "So sind die Vorschriften.", entgegnete der Admiral kühl. "Wenn Sie wollen, können Sie noch einen Moment mit Ihr reden. Ich erwarte Sie danach in meinem Büro." Mit diesen Worten verließ der Admiral den Raum.

Ich ging auf den Wachmann zu. "Lassen Sie uns bitte kurz allein." - "Tut mir leid, aber das ist gegen die Vorschriften." Langsam ging er mir auf die Nerven. "Anscheinend ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass ich ranghöher bin, also befehle ich Ihnen, diesen Raum zu verlassen!" - "Ich unterstehe direkt dem leitenden Sicherheitsoffizier..." Bevor er weiter reden konnte, setzte ich ihn mit einem Kinnhaken außer Gefecht. "Was hast du vor?", fragte Manuela, die mich entsetzt ansah. "Das wird ein kleiner Gefängnisausbruch." Ich tippte ein paar Zahlen in das Sicherheitsschloß ein. Daraufhin ertönte ein Alarmton, gefolgt von einer automatischen Durchsage: "Achtung, Nuklearalarm! Begeben Sie sich umgehend in die Schutzbunker!" Manuela erschrak. "Keine Angst!", sagte ich, "Ich habe einen falschen Alarm ausgelöst, damit uns die Wachen nicht in die Quere kommen. Komm mit!"

Durch den falschen Alarm hatten sich die Strahlungsschutztüren geschlossen und die einzelnen Gebäudeteile voneinander abgeriegelt. Damit waren auch die Wachleute eingesperrt, die sich im Bereitschaftsraum aufhielten. Es dauerte einen Moment, bis ich die Notüberbrückung aktiviert hatte und sich die Türen manuell öffnen ließen. Schließlich gelang es uns, das Gebäude zu verlassen. "Wie weit ist es bis zum Ausgang?", fragte Manuela. "Das ist das Problem.", antwortete ich, "Es gibt keinen. Das ist ein Luftwaffenstützpunkt, der nur aus der Luft versorgt wird." Ratlos sah sie mich an. "Und wie sollen wir dann hier weg kommen? Sollen wir etwa fliegen?" Ich nahm sie am Arm und sah ihr in die Augen. "Du liegst absolut richtig."

Etwa 100m von uns entfernt befand sich ein größerer Hangar. "Tu einfach so, als würdest du hier arbeiten.", sagte ich zu Manuela, und sie nickte. Dann liefen wir gemeinsam auf den Hangar zu. Vor dem Eingang stand ein einzelner Wachmann mit einem Gewehr in der Hand. "Halt! Admiral Petersen hat befohlen, niemanden hereinzulassen." - "Und mir hat er befohlen, die Antriebskontrollen zu überprüfen." - "Davon weiß ich nichts, das muss ich nachprüfen." Er wollte gerade zu seinem Funkgerät greifen, als ihn Manuelas Handtasche am Kopf traf und zu Boden streckte. Lächelnd nahm sie einen Briefbeschwerer heraus. "Ich wusste doch, dass ich den irgendwann mal brauchen würde..." Ich legte meine Hand auf den Scanner neben dem Türschloß und öffnete damit die Tür. Gemeinsam gingen wir in den Hangar.

Vor uns stand ein knapp 60m langes, schwarzes Flugzeug. Manuela kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. "Das ist die Thunderbird - sozusagen mein Flugzeug.", erklärte ich, "Ich habe sie entworfen und ihre Entwicklung geleitet. Sie hat zwei Strahltriebwerke für Überschallgeschwindigkeit und einen Oberflächenplasmaantrieb für Hyperschall. Ihre Hülle ist mit Kohlefasern überzogen und schluckt Radarwellen, damit ist sie praktisch unsichtbar. Außerdem verfügt sie über drei neue, experimentelle Waffensysteme: Drei Plasmakanonen, zwei Terawattlaser und einen EMP-Generator. Aber das Herzstück ist die adaptive Steuerung: Selbst jemand, der noch nie in einem Flugzeug gesessen hat, kann sie innerhalb von Minuten fliegen, weil der Computer die Kontrollen an den Piloten anpasst."

Ich stieg die kleine Treppe zum Cockpit hinauf und reichte Manuela die Hand. Dann setzte ich mich auf den vorderen Sitz, während sie hinter mir Platz nahm. "Bitte legen Sie die Sicherheitsgurte an und bringen Sie ihre Rückenlehnen in eine aufrechte Position.", sagte ich und schloß das Cockpit. "Du hast 'Stellen Sie das Rauchen ein' vergessen!", korrigierte mich Manuela. Ich lachte. "Das ist ein Nichtraucherflug!" Dann führte ich den Startcheck durch. "Antrieb und Navigation sind bereit. Aber die Hangartore lassen sich nicht öffnen, sie haben die Codes für die Automatik geändert. Aber du kannst sie gleich öffnen..." Ich zündete die Triebwerke. Ein lautes Vibrieren erschütterte das Flugzeug. Langsam rollten wir auf die Tore zu. "Auf dem rechten Monitor siehst du zwei Balken. Wenn du sie berührst, kannst du sie bis zur Mitte schieben." Manuela tat, was ich ihr sagte. "Sie sind jetzt in der Mitte. Auf dem Bildschirm vor mir blinkt jetzt ein rotes Kreuz und ich sehe die Tore." - "Gut, berühre den mittleren Bildschirm in der Mitte der Tore." - "Habe ich, das Kreuz leuchtet jetzt grün." - "OK, noch einmal auf das grüne Kreuz drücken." Als Manuela das tat, feuerten die Plasmakanonen mit einem lauten Rumms und sprengten die Hangartore aus dem Weg.

Langsam erhöhte ich den Schub und steuerte die Maschine auf die Rollbahn zu. Als ich darauf einschwenkte, sah ich, was mir schon das Bodenradar angezeigt hatte: In der Mitte der Rollbahn standen zwei Panzer und verperrten uns den Weg. "Wir können nicht starten, sie versperren uns den Weg.", sagte ich und blickte zu Manuela. "Und was machen wir jetzt? Wir können doch nicht einfach auf sie schießen!" Ich überlegte eine Weile. "Nein, und das werden wir auch nicht. Diese Leute sind nicht dumm, sie wissen genau, dass sie mit zwei Panzern gegen die Thunderbird keine Chance haben. Sie setzen einzig und allein darauf, dass wir nicht auf sie feuern. Und sie gehen davon aus, dass wir nicht starten, weil das Selbstmord wäre." - "Schön, und was machen wir stattdessen?" - "Beides!"

Manuela sah mich ungläubig an. "Schieb die beiden Balken von eben bis ganz nach oben und richte das rote Kreuz auf die beiden Panzer, bis es grün wird. Aber noch nicht feuern!" Manuela richtete die Waffen aus. "Das Kreuz ist grün." Ich hatte die Radbremse festgestellt und fuhr im Stand den Antrieb hoch. Dann löste ich die Bremse und ging auf vollen Schub. Das Flugzeug beschleunigte abrupt und schoss über die Rollbahn. Als den Männern in den Panzern klar wurde, dass die Thunderbird nicht mehr anhalten konnte, stiegen sie aus den Panzern und suchten das Weite. "Feuer!" Mit einem Schuß aus den Plasmakanonen räumte Manuela die Panzer aus dem Weg. Die Triebwerke röhrten, als sich die Thunderbird in den Nachthimmel erhob. "Wohin fliegen wir?", fragte Manuela. "Wohin du willst.", antwortete ich. "Wie sagt man so schön: Only the sky is the limit!"