Mit einem sanften Vibrieren erhob sich die Dragonheart in Richtung Himmel. Höher und höher stieg sie durch die Atmosphäre, bis sie den Weltraum erreicht hatte. Sandra und Martin hielten sich an ihren Sitzen fest, als der Raum wieder in sich zu kippen schien und das Schiff beschleunigte. Liza und ich hatten uns bereits daran gewöhnt und Luke schien es sogar Spaß zu machen. Unser erstes Ziel sollte der Asteroidengürtel sein - der perfekte Ort für ein Zielschießen. Geschickt als hätte er nie etwas anderes gemacht als ein Raumschiff zu fliegen brachte uns Luke dorthin und navigierte uns vorsichtig hinein, auf der Suche nach einem geeigneten Versuchsobjekt. Er flog ziemlich schnell und ich musste ihn mehr als einmal ermahnen, mit etwas mehr Vorsicht zwischen den umhertreibenden Felsen hindurchzunavigieren, doch er ließ sich nicht davon abhalten, jedem noch so kleinen Brocken schwungvoll auszuweichen. Sandra hatte inzwischen zu viel von der Achterbahnfliegerei und zog sich auf die Krankenstation zurück, wo sie wenigstens nicht mehr auf den Frontmonitor sehen musste. Liza folgte ihr. Auf der Krankenstation unterhielten sich die beiden weiblichen Besatzungsmitglieder über die Dragonheart, ihren waghalsigen Piloten, den kauzigen Captain und die übrige Besatzung.
In der Zwischenzeit hatte Martin herausgefunden, wie man mit den Bordsensoren die Asteroiden untersucht. Es dauerte nicht lange, bis er einige unterschiedlich große Felsbrocken für ein paar Schussversuche ausgewählt hatte. "Diese Position halten!" befahl ich. Luke war regelrecht enttäuscht, dass wir schon am Ziel angelangt waren. "Lasst uns doch noch weiter fliegen, das macht Spaß!" schlug er vor, doch vor dem strengen Blick der durchgeschaukelten Crew musste er kapitulieren. "Und worauf schießen wir jetzt?" fragte er und blickte auf den Bildschirm. Martin zeigte auf einen unförmigen Gesteinsklumpen. "Der Asteroid, der aussieht wie ein Cornflake." kommentierte er. Luke drehte das Schiff. "Waffen bereit machen zum Feu..." - "Waffen sind bereit, Ziel ist erfasst." antworte Andre, bevor ich meinen Befehl zu Ende sprechen konnte. Er konnte es kaum abwarten, sie ausprobieren zu dürfen. Ich warf ihm einen leicht verdutzten Blick zu und erteilte dann den Befehl: "Plasmakanone - Feuer!" Andre betätigte den Auslöser. Ein lautes Rumoren ging durch das Schiff, dann folgte ein lautes Donnern, das scheinbar von Achtern kam. Andre konnte gerade noch rechtzeitig einen Schritt zurück machen, bevor ein Plasmaball aus seiner Konsole ein Loch in die selbige brannte und sich dann in Luft auflöste. Der einzige Ort auf dem Schiff, an dem sich scheinbar keine Reaktion zeigte, war die vordere Plasmakanone - der Asteroid zog noch immer unbeschadet seine Bahnen.
"Was war das denn?" fragte ich und sah Andre mit ernstem Blick an. "Keine Ahnung, ich hab den Auslöser gedrückt - da muss was beim Absturz kaputt gegangen sein." Ich nahm die Konsole etwas näher unter die Lupe. "Andre, Matze - ihr seht mal nach, was da eben so laut gedonndert hat." Als die beiden die Brücke verlassen wollten, kamen Liza und Sandra ihnen bereits entgegen gerannt. "Habt ihr einen Asteroiden gerammt?" fragte Liza spöttisch. "Nein", antwortete Luke, "Im Gegensatz zu euch kann ich sogar rückwärts einparken." Dafür kassierte Luke einen Klaps auf den Hinterkopf von meiner ersten Offizierin. Ich war viel zu sehr mit der beschädigten Konsole beschäftigt, um mich um das Gekappel der beiden zu kümmern. Einige Leitungen waren beschädigt, aber sie hatten bereits begonnen, sich selbst zu reparieren. Sandra sah neugierig dabei zu. "Kann ich ein Stück davon für mein Labor abschneiden?" Etwas skeptisch stimmte ich ihr zu. "Was hast du denn damit vor?" fragte ich sie. "Ich frage mich, was das für ein Gewebe ist, das so schnell wächst - immerhin hat das Schiff den Absturz überlebt, im Gegensatz zur Crew." Dem konnte ich nur zustimmen. "Warum ist das Schiff eigentlich abgestürzt?" fragte Sandra. "Gute Frage - ein Pilotenfehler? Oder sowas wie eben?" Sandra nickte, doch Martin erhob Einspruch. "Was hat denn jetzt was ausgelöst, der Absturz die Fehlfunktion oder andersrum? Oder sind wir jetzt alle in einer Zeitschleife und sehen jeden Tag ein Murmeltier?" - "Noch habe ich Bill Murray nicht gesehen." konterte ich. Aber Martin hatte Recht - es musste eine andere Ursache geben.
Andre und Matthias meldeten sich über die Bordsprechanlage. "Wir sind in einem Wartungsgang, hier muss eine Leitung explodiert sein, jedenfalls ist hier ein Loch in der Innenwand." Das wollte ich mir selbst ansehen. "Wo genau seid ihr?" fragte ich. Andre erklärte mir den Weg. "Gut, ich komme gleich." sagte ich. "Dann lass dir lieber Zeit!" scherzte Matthias noch, was aber niemand außer Luke lustig fand. Ich übergab das Kommando an Liza und ging dann zum Wartungsgang, wo die beiden gerade das Loch betrachteten und darüber diskutierten. "Wie sieht's aus?" fragte ich. Die beiden erschraken und stießen sich fast gleichzeitig die Köpfe an der recht niedrigen Decke. "Nicht gut - die Energieleitung hier ist gebrochen und irgendwie regeneriert die sich nicht von selbst wie die anderen." berichtete Matthias. Ich grübelte. "Und wenn wir die Energie umleiten?" - "Dann haben wir keine Waffen." warf Andre ein. "Kannst du das von Hand reparieren?" fragte ich Matthias. Er nickte. "Ich muss nur die Leitung ersetzen." - "Gut, dann mach das. Und danach schaust du mal, ob noch mehr Leitungen beschädigt sind. Andre, du hilfst dabei - deine Waffen funktionieren ja nicht..." ordnete ich an. Die beiden machten sich gleich an die Arbeit.
Ich wollte gerade auf die Brücke gehen, als ein Schrei aus der Kombüse ertönte. Sofort lief ich hin. Liza stand mit verrußtem Gesicht in der Tür. "Manu, was ist das für ein Herd? Modell Plasmakanone?" fragte sie mit leicht verärgertem Tonfall. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Nein, Modell Schornsteinfeger." antwortete ich und gab Liza einen Stups auf ihre schwarze Nase. "Anscheinend sind die Waffen nicht das einzige defekte System an Bord. Ich seh mal nach, ob ich die Ursache finde." Damit war Liza zufrieden und ich machte mich auf den Weg zur Brücke, von wo aus sich alle Systeme überwachen ließen.
Martin hatte bereits begonnen, den Fehler einzugrenzen. "So wie es aussieht, sind einige der hinteren Energieleitungen gebrochen - der Einsatz der Plasmakanone muss sie überlastet haben." Ich seufzte. "Was ist das denn für ein Raumschiff? Sobald man schießt, fällt es auseinander... Das ist ja noch unzuverlässiger als das italienische Stromnetz." Auf einmal sah mich Martin mit leuchtenden Augen an. "Das ist es! Genau!" Ich verstand kein Wort, doch Martin schien zu wissen, was er tat, als seine Hände über die Konsole flitzten. "Wusste ich es doch!" rief er begeistert. Mit ausdruckslosem Blick sah ich ihn an. "Was wusstest du? Das Schiff bezieht seine Energie aus Italien?" Er winkte schnell ab. "Unsinn, ich hab das Problem gefunden! Die Leitung war beim Schuss überlastet, weil die Hauptleitung zu den Waffen schon vorher ausgefallen war. Deshalb wurde die Energie umgeleitet. So lange wir die Waffen nicht benutzt haben, ging das gut - aber dann..." - "...führte der Ausfall einer Leitung nach der anderen zum Domino-Effekt, wie in Italien." beendete ich Martins Satz. "Und was schlägst du als Lösung vor?" fragte ich ihn. "Ganz einfach - die Energie kurze Zeit komplett abschalten, die Leitungen reparieren und dann die Systeme wieder hochfahren." Sofort stimmte ich Martin zu. "So machen wir es, die ges..."
"Halt!" rief Luke. "Wie soll ich denn unsere Position zwischen den Asteroiden halten, wenn die Manövriertriebwerke keine Energie mehr haben?" - "Na gut, dann bring uns eben zuerst raus hier, aber nur mit minimalem Antrieb." Luke nickte und fuhr die Triebwerke hoch. Das Schiff rumorte etwas, doch dann setzte es sich langsam in Bewegung. Wieder einmal konnte Luke sein fliegerisches Geschick beweisen, indem er den Asteroiden auswich, die unseren Weg kreuzten. Als wir etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, näherte sich ein Asteroid gefährlich schnell von Backbord. Für Luke war es ein Kinderspiel, ihm auszuweichen - nicht jedoch für die Dragonheart. Ein lautes Donnern ließ das Schiff erzittern, als die Hauptenergieleitung ihren Dienst versagte und der Antrieb ausfiel. Der Schwung reichte gerade noch aus, um eine Kollision zu verhindern. "Bei den Göttern!" fluchte Luke und hämmerte mit beiden Fäusten auf die Konsole, während die Dragonheart antriebslos zwischen den Asteroiden driftete. "Immerhin haben wir jetzt die Energie abgeschaltet." kommentierte Martin. Ich nickte. "Na dann, an die Arbeit! Hier auf der Brücke gibt es ja nichts zu tun, also helft ihr mit bei der Reparatur der Energieleitungen. Ich sehe nach den anderen und mache mich dann auch ans Werk. Wir haben sicher nicht viel Zeit." - "Eine Stunde und siebzehn Minuten." sagte Martin und deutete auf einen unförmigen Felsbrocken, der sich auf uns zubewegte. Ich verließ die Brücke und die beiden folgten mir.
Als wir an der Krankenstation vorbeikamen, warf ich einen Blick hinein. Sandra hatte sich inzwischen den sterblichen Überresten der ursprünglichen Crew zugewandt. "Kannst du schon etwas über ihre Todesursache sagen?" fragte ich sie. Sandra nickte. "Einiges. Ihre Zellen erhalten organometallische Komplexe, die Sauerstoff transportieren können - sie atmen also genau wie wir. Und jetzt kommt das interessante: Ich habe keinen Tropfen Sauerstoff gefunden." Noch immer etwas unsicher, ob ich alles verstanden hatte, blickte ich Sandra an. "Heißt das, sie sind erstickt?" - "Ganz genau." antwortete Sandra. Ich strich mir durch den Bart. "Aber warum? Warum ist ihnen die Luft ausgegangen?" Sandra lächelte. "Das herauszufinden ist deine Aufgabe..." Immer noch etwas überrascht von dieser Diagnose beschloss ich, zunächst die Lebenserhaltungssysteme zu überprüfen. Doch die arbeiteten einwandfrei und es gab nicht den geringsten Hinweis auf eine Fehlfunktion. Gedankenversunken machte ich mich auf den Weg zu der Energieleitung, die den ganzen Ausfall ausgelöst hatte.
"Aaahhh!" schrie ich, während ich zuerst stolperte und dann unsanft auf den Boden fiel. Zwischen meinen Füßen fand ich einen Schraubenschlüssel, der offenbar die Ursache meines Sturzes war. "Matze! Kannst du dein Werkzeug nicht woanders rumliegen lassen?" brüllte ich in die Sprechanlage. Kaum hatte ich das getan, kamen Liza und Sandra mit einem Ärztekoffer angerannt. "Manu, bist du verletzt?" fragte Liza und beugte sich zu mir runter, während Sandra meine Beine beäugte. "Nein, alles bestens, ich bin nur über Matzes Krempel gestolpert." - "Warte, ich helfe dir." Liza griff meinen Arm, um mir aufzuhelfen. "Au, du brichst mir ja den Arm!" Sofort ließ Liza los und ich schlug noch einmal unsanft auf. Ich war gerade wieder aufgestanden, als Matthias mit seinem Werkzeugkoffer aus einem Wartungsschacht stieg. "Was ist denn hier passiert?" fragte er und sah mich an. "Das ist passiert!" sagte ich leicht verärgert und hielt ihm den Schraubenschlüssel vor die Nase. Matthias öffnete seinen Koffer. "Das ist nicht meiner, meiner ist hier." - "Über wessen Werkzeug bin ich denn dann gerade geflogen? Oder glaubst du, die Außerirdischen waren beim Baumarkt?" Matthias sah sich das Tatwerkzeug genau an. "Das ist ja ein toller Schraubenschlüssel, besser als meiner. Sehr leicht, trotzdem stabil. Außerdem magnetisch. So einen habe ich noch nie gesehen, der wäre genau richtig für..."
"...Astronauten." ergänzte Sandra, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Ich sah sie verdutzt an. "Und wie soll so ein Raumfahrerteil hier reingekommen sein? Ich kann mich nicht erinnern, mal bei der ESA gewesen zu sein." Sandra deutete auf eine dunkle Stelle an der Wand. "Durch ein Loch, das er bei seinem Aufschlag in die Wand geschlagen hat. Danach hat er dann die Energieleitung getroffen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Stück Weltraumschrott, das unseren Vorgängern an Bord die Außenwand, den Sauerstoff und die Energie für die Waffen geklaut hat." Alles schwieg. Dann brach ich die Stille. "Das Ding hat dieses Raumschiff abgeschossen? Hat das Schiff keine Defensivsysteme?" - "Doch", entgegnete Matze, "aber die waren wohl im Wartungsmodus." - "Macht ihr hier ein Picknick?" fragte Andre, der mit Martin zusammen angerannt kam. "Die übrigen Leitungen sind repariert, Luke ist auf dem Weg zur Brücke, alle Systeme bis auf die Waffen arbeiten wieder. Und wir haben noch..." - "...vier Minuten dreiunddreißig Sekunden." sagte Martin mit einem Blick auf seine Uhr. "Na dann los, auf zur Brücke, Antrieb aktivieren und dann nichts wie weg hier!"
Außerhalb des Asteroidengürtels hatten wir mehr als genug Zeit, um alle Systeme in Funktion zu setzen. Auch die Waffen wurden wieder ausreichend mit Energie versorgt und so kamen wir schließlich doch noch zu unserem geplanten Zielschießen. Für den Schraubenschlüssel hatte ich inzwischen einen Platz direkt über der Tür zum Kapitänsquartier gefunden. Nach dem Test aller Systeme versammelten wir uns auf der Brücke. "Und wohin fliegen wir jetzt?" fragte Liza. "Nach Alpha Centauri, das ist am dichtesten." schlug Matze vor. "Aber Vega ist aufregender!" entgegnete Luke. "Dafür ist Epsilon Eridani interessanter." konterte Martin. Meine Crew brauchte ein Machtwort. "Schluss mit diskutieren! Luke, siehst du den kleinen gelben Stern, unten der dritte von rechts?" - "Ja, klar und deutlich." - "Da fliegen wir jetzt hin. Maximale Geschwindigkeit!" befahl ich. Die Dragonheart beschleunigte und trat damit ihre erste große Reise an.