Zwischen Praktikum und Vorlesungszeit (11. 10. 2004)

Liebe Freunde und Verwandte!

Am Ende der wohl arbeitsreichsten Vorlesungsfreien Zeit meines Studiums habe ich noch etwas Zeit gefunden, um wieder einmal eine Rundmail zu verfassen. Allerdings nicht viel - denn in einer Woche beginnt bereits wieder die Vorlesungszeit, und es gibt noch einige Vorbereitungen zu treffen. Aber ich bleibe lieber chronologisch.

Nachdem ich mich etwa vier Wochen auf das Praktikum für Fortgeschrittene am Institut für Experimentalphysik vorbereitet habe, durfte ich drei Wochen in der Hörsaalvorbereitung arbeiten. Zeit genug, alles gelernte wieder zu vergessen. Denn die Arbeit in der Hörsaalvorbereitung hat ihre ganz eigenen Anforderungen. Überwiegend habe ich im leeren Hörsaal "gearbeitet". Eine meiner Aufgaben bestand darin, den TV-Tuner des Hörsaalrechners zu testen. Schließlich sollen alle Komponenten des Multimedia-PCs funktionieren... Anschließend durfte ich die Audioinstallation testen. Dafür benutzte ich eine spezielle Audiokombination, die unter dem Namen Woodstock bekannt ist. Allerdings bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Vanilla Ninja einfach besser rockt. In gewisser Weise ist ein Hörsaal also eine Art Physik-Diskothek - ein Ort für Akustik-Versuche eben.

Ganz nebenbei habe ich dabei die Rechner auf den neuesten Stand gebracht, teilweise überhaupt erst in Gang gesetzt, die Software für einen Germanium-Detektor (der für Messungen in der Kernphysik benutzt wird) an die Hörsaalvorbereitung angepasst und ein paar Laufwerke getestet. Zwischenzeitlich gab es dann noch Anfragen zur Messung der Ladung auf einem Glimmerplättchen und zur Live-Übertragung von Vorlesungen über das Internet. Bevor irgendjemand etwas anderes denkt - ich habe wirklich dort gearbeitet.

Nach einer Woche Pause ging es dann ans Fortgeschrittenenpraktikum. Vier Wochen, vier Versuche, vier Protokolle, vier Seminarvorträge - was für ein Spaß.

Im ersten Versuch ging es um Luftschauer, also Astroteilchenphysik. Ein Teilchen mit hoher Energie aus dem Weltraum trifft auf die Atmosphäre und kollidiert mit einem Atomkern. Das Resultat ist eine Teilchenkaskade (ein Luftschauer), die man auf der Erdoberfläche messen kann. Mit zwölf Detektoren und zwei Schränken voller Elektronik durften sich vier Studenten dem Einfang solcher Luftschauer widmen. Der erste Tag bestand darin, alle Geräte zusammenzuschalten und zu eichen. Das dauerte bis 17:30. Wer jetzt glaubt, das wäre lang, irrt sich. Aber dazu später. Am zweiten Tag gab es nämlich nicht mehr zu tun, als das Messprogramm und die Messung zu starten - daher war mittags Schluß. Am dritten Tag gab es dann einen Vortrag und am vierten Tag das Ende der Messung. Damit war der Versuch abgeschlossen - bis auf die Auswertung natürlich.

Ähnlich beschaulich war die zweite Woche. Das Thema waren nichtlineare Dynamik und Chaos - ein fast reiner Computerversuch. Es ging um die Simulation chaotischer Systeme, darunter eine elektronische Schaltung, die als nichtlinearer Schwingkreis bezeichnet wird. Etwas Praxis gab es schließlich doch: Einen realen nichtlinearen Schwingkreis. Der durfte mit dem Oszilloskop betrachtet werden. Das Oszilloskopbild wurde dann mit einer historischen, vollmechanischen Sofortbild-Kamera abfotografiert. Ein solches Bild habe ich in den Anhang gepackt. Nach drei Tagen war Feierabend, bis auf einen kleinen Vortrag am Freitag.

Nach zwei unterhaltsamen Wochen begann der erste richtige Arbeitsversuch: Die Untersuchung von Z0-Zerfällen. Ein Versuch aus der Teilchenphysik, der so viel Theorie benötigt, dass ich dafür eine eigene Mail schreiben müsste. Es ging um die Analyse von Daten, die der Opal-Detektor am LEP (also am CERN in Genf) aufgezeichnet hatte. Ein reiner Computerversuch - der teilweise bis 19:30 dauerte. Um diese Uhrzeit sind jedoch noch die meisten Büros bei DESY besetzt...

In der vierten Woche gab es dann wieder etwas Praxis. Es ging um LabVIEW (www.ni.com/labview), ein Programm zur Erfassung, Auswertung und Präsentation von Daten. Mit einer Messkarte wurden diverse elektronische Schaltungen vermessen. Unter anderem sollten die Kennlinien einiger Bauelemente, der Aufladevorgang eines Kondensators und der Frequenzgang eines Verstärkers gemessen werden. Zum Schluß gab es ein mechanisches System zu untersuchen: Das Doppelpendel. Als Positionssensoren dienten Potentiometer, also durch eine Drehbewegung regelbare Widerstände. Einige der Leser erinnern sich bestimmt noch an einen Roboter, der das gleiche Prinzip zur Positionsbetimmung benutzte...

Zwei Praktikumsprotokolle sind unter www.manuelhohmann.de/mhohmann/Download/Pub/fprakt/Luftschauer.pdf und www.manuelhohmann.de/mhohmann/Download/Pub/fprakt/Chaos.pdf herunterzuladen (die ersten beiden Versuche betreffend).

Kaum ist das Praktikum vorbei, steht auch schon das nächste Semester vor der Tür. Und als ob es nicht schon im Praktikum um Chaos gegangen wäre, beginnt es auch mit Chaos. Normalerweise wird nämlich immer im Winter die Quantenfeldtheorie angeboten. (für Nichtphysiker: Das ist eine Theorie, die Quantenmechanik und spezielle Relativitätstheorie verbindet. Wem das auch nichts sagt: Sie beinhaltet die richtige Theorie des Lichts und ist für einen Teilchenphysiker die wichtigste Theorie überhaupt.) Dies sollte in diesem Semester anders sein. Doch glücklicherweise hat sich ein Kommilitone von mir so sehr dafür eingesetzt, dass es doch eine QFT-Vorlesung gibt - bei einem DESY-Theoretiker. Damit wird die Vorlesung wahrscheinlich noch besser als im Normalfall.

Der Rest ist mal wieder viel Theorie, etwas Praxis und etwas Mathe. Im letzten Gebiet steht diesmal Gruppentheorie auf dem Plan - für den theoretischen Physiker ein regelrechtes Pflichtgebiet. In Sachen Praxis geht die Beschleunigerphysik in die zweite Runde. Die Theorie wird auch nett: Neben allgemeiner Relativitätstheorie (Einstein lässt grüßen...) gibt es eine Vorlesung über Quanteninformation. Wem das nichts sagt: Schlagworte wie Quantencomputer und Quantenkryptographie gehören in diese Kategorie - also Computer und Verschlüsselungsverfahren, die alle heute üblichen Technologien in den Schatten stellen. Die Theorie dazu ist schon seit Jahren bekannt und wird in dieser Vorlesung behandelt - die Praxis ist noch nicht so weit, erst seit einem Jahr kann man ein Quantenkryptographiesystem kommerziell erwerben.

Apropos Kryptographie: Hier ist ein kleines Rätsel. Unter den Einsendern der richtigen Lösung werden 100m Verlängerungskabel für schnurlose Telefone verlost. Der Gewinner wird schriftlich benachrichtigt.

Im Keller eines mehrstöckigen Hauses befindet sich ein Schaltkasten mit drei Schaltern, die sich alle in der Stellung "Aus" befinden und nicht beschriftet sind. Auf dem Dachboden befindet sich eine Glühlampe. Der Hausbesitzer steht vor dem Schaltkasten und möchte herausfinden, welcher Schalter die Glühlampe auf dem Dachboden schaltet. Wie schafft er das, wenn er nur einmal nach oben geht?